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  3. Kältemittel-Verbote seit 01.01.2020 - Blogbeitrag

Kältemittel-Roulette

Rien ne va plus, nichts geht mehr. Die ersten Hoch-GWP-Kältemittel R404A (GWP von 3922) und R507A (GWP von 3985) sind seit 1. Januar 2020 innerhalb der Europäischen Union nicht mehr erhältlich, weil ihr Absatz verboten ist. Das bedeutet das Aus für die etablierten kältetechnischen Lösungen der letzten 20 Jahre! Auf diese Entwicklung hat der Testo-Beitrag „Kältemittel-Domino“ bereits im Frühjahr 2017 hingewiesen und damit viele Betroffene aufgerüttelt. Inzwischen gleicht es einem Roulettespiel, auf die richtige Kältemittel-Langzeitlösung zu setzen. Aber wie konnte es soweit kommen?

Casino der großen Überraschungen

In vielen europäischen Ländern, die der F-Gas-Verordnung (EU) 517/2014 zur Reduzierung fluorierter Treibhausgase unterstehen, überschlugen sich in der zweiten Jahreshälfte 2017 die Ereignisse. Der Zentralverband des deutschen Handwerks ZDH wies damals darauf hin, dass die Preise für die marktgängigen Kältemittel stark ansteigen und es zeitweise zu Lieferengpässen kommt. Die Folgen blieben nicht aus, mit harten Auswirkungen für Servicebetriebe und Anlagenbauer. Sie waren nicht mehr in der Lage, alle ihre Kunden mit Kältemitteln zu versorgen. Es kam sogar zu Hamsterkäufen. Denn R404A wurde zum begehrten Spekulationsobjekt, mit Renditen, von denen der Kapitalmarkt nur träumen kann. Die schrumpfenden Restmengen mussten von Anlagenbetreibern zu absurden Höchstpreisen bezahlt werden. So sind die Gesetze einer freien Marktwirtschaft, die vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen wurden, um Anreize für Alternativen zu setzen. Das große Problem dabei: Außer den natürlichen Stoffen standen dem Markt 2017 keine langzeiterprobten alternativen Kältemittel zu Verfügung.

Eine andere Folge zeigte sich bei Großanwendern, wie beispielsweise dem Lebensmitteleinzelhandel. Große Ketten oder Genossenschaften gaben Bestandsmengen ihrer umgestellten oder rückgebauten Kälteanlagen nicht wie bisher mehr über den vorgesehenen Prozess zum Recyceln. Sie lagerten ihre Schätze ein wie Gold in Fort Knox, um für den eigenen Nachfüllbedarf gerüstet und unabhängig von einem überhitzten Markt zu sein. Dem Recyclingkreislauf fehlte dadurch nicht nur aufbereitbares Kältemittel, sondern auf einmal auch leere Kältemittelflaschen. Dies brachte den Recyclingkreislauf zeitweise zum Erliegen. So entstanden bis 2019 auch von dieser Seite her Versorgungslücken, was vom Gesetzgeber sicher nicht geplant war. Die freien Marktmechanismen waren von ihm mit einem Verbotsverzicht zwar bewusst in Kauf genommen, aber vielleicht etwas unterschätzt worden.

Alles zusammen führte dazu, dass seit 2018 Hoch-GWP Kältemittel illegal in die EU geschmuggelt werden. Das lässt die hohen Preise seither wieder etwas sinken, weil Hersteller um ihren Absatz fürchten. Der Kältemittelmarkt ist also massiv in Bewegung gekommen. Und da bis 2030 weitere Stufen des F-Gas-Phase-Down folgen werden, ist noch kein Ende in Sicht. Was aber ist jetzt zu tun?

Inflationär waren die Kältemittelpreise 2017 angestiegen. Die heftigen Folgen blieben nicht aus. (Quelle: Öko-Recherche, Frankfurt 2019, im Auftrag der EU-Kommission)

Auf welche Felder soll man setzen?

Nach wie vor überwiegen in vielen tausend Bestandskälteanlagen synthetische Hoch-GWP Kältemittel wie R507A, R404A und auch R134a (GWP 1430) oder R410A (GWP 2088). Wenn kältetechnische Systeme nicht komplett erneuert werden können und Kältemittel zum Nachfüllen nicht mehr unbegrenzt verfügbar sind, stehen Anlagenbauer und -betreiber derzeit vor allem bei R404A vor großen Herausforderungen beim Anlagenbestand. Sie können für den Austausch keine Frischware mehr kaufen und nur auf Eigenbestände, oder für viel Geld auf die (zu) geringen Mengen Recyclingware zugreifen. Oder sie spielen Roulette und treffen eine der zahllosen und hoffentlich richtigen Alternativen. Für die dann notwendige Umstellung von Kälteanlagen stehen unter anderem die unbrennbaren Stoffe R407F, R407A, R449, R448, R407H, R452A, R450A, R513A zur Wahl. Hinzu kommen außerdem die schwer entflammbaren Gemische R455A, R454A, R454C, R1234ze und R1234yf. Jedes hat seine Berechtigung. Jedes hat aber auch seine Nachteile, wenn es beispielsweise um veränderte Heißgastemperaturen, den Temperaturglide, oder die Materialverträglichkeit bei einem notwendigen Verdichter- bzw. Komponententausch geht. Kritisch sieht es außerdem bei den produzierten Mengen und deren Verfügbarkeit aus. Denn weil es sich in den europäischen Märkten noch nicht abzeichnet, auf welche Ersatzkältemittel sich der Markt konzentriert, ist es für Kältemittelhersteller schwer, ihre Produktionskapazitäten für die verschiedenen Kältemittel zu planen. Und im Gegensatz zur letzten Umstellung der H-FCKW-Kältemittel (zum Beispiel R22) vor rund 20 Jahren, wurde vom deutschen Gesetzgeber dieses Mal darauf verzichtet, offizielle Ersatzkältemittel zu benennen. Der Markt soll es selbst regeln. So gibt es wegen der großen Vielfalt für Ersatzkältemittel bislang keine Garantie auf Versorgungssicherheit oder Preisstabilität – und das für die nächsten Jahre.

Eine andere Unwägbarkeit gibt es bei den neuen HFO Kältemitteln. Diese gelangen zwar nicht in die Atmosphäre, haben also ein reduziertes Treibhauspotenzial, sind aber chemisch instabil. Nur entsteht insbesondere beim Zerfall von R1234yf innerhalb von zehn Tagen Trifluoressigsäure (TFA), die bei Regen zur Erde fällt und bereits in Gewässern sowie Brunnen nachgewiesen wurde. Welche Langzeitauswirkungen diese Lösungen....

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Kurz-Zusammenfassung Kältemittel-Roulette:

  • Seit 1. Januar 2020 sind die Hoch-GWP-Kältemittel R404A und R507A in Europa als Frischware nicht mehr erhältlich. Wer für Bestandsanlagen von den legal verfügbaren Restmengen oder Recyclingware benötigt, hat mit unter Lieferengpässe zu akzeptieren und bezahlt hohe Preise. Auch illegale Schmuggelware ist im Umlauf, wovon Betreiber aber Abstand halten sollten. Die Verwendung verstößt gegen das Gesetz.

  • Synthetische Alternativkältemittel gibt es inzwischen in großer Zahl. Jedoch kann keines davon ausnahmslos überzeugen, oder wäre eine echte Langzeitlösung. Hinzu kommen brennbare Eigenschaften, je geringer der GWP-Wert eines Kältemittels wird. Die damit verbundenen Gefahren betrifft auch die neue HFO-Generation.

  • Ab 2021 wird mit der nächsten Stufe der F-Gas-Verordnung die Kältemittelquote von heute 63 % auf nur noch 45 % sinken. Bereits jetzt ist absehbar, dass mit diesem Phase-Down weitere alt vertraute Kältemittel wie R410A, R134a oder R407C schnell zurückgehen werden. Deren Preisentwicklungen der letzten zwei Jahre sind dafür ein eindeutiges Indiz.

  • In der Gewerbekälte finden heute für Bestandsanlagen synthetische Übergangskältemittel Verwendung. Neuanlagen werden zu fast 100 % mit den natürlichen Kältemitteln CO2 oder Propan ausgeführt. Besonders groß sind die Herausforderungen für Klimasysteme und Wärmepumpen. Denn alle dafür technisch sinnvollen Alternativen sind entweder brennbar, oder haben als Zerfallsprodukte bislang noch unbekannte Gefahren für Mensch und Umwelt.

  • Der Markt muss handeln! Denn falls keine Entscheidungen für eine überschaubare Anzahl synthetischer Übergangskältemittel und natürliche Langzeitlösungen im Konsens getroffen werden, droht die Wahl des Kältemittels für Hersteller, Planer, Anlagenbauer oder Betreiber zu einem Roulette Spiel zu werden – mit vergleichbaren Risiken, mit Gewinnern und auch mit Verlieren!